Unterwegs am Kineret:
Die Ästhetik der Vermüllung
Von Sch. Zahubi, Haifa
Das silbrige Blech mit der Hand auf Hochglanz poliert
fahren wir, mein Mietauto und ich, aus der brodelnden Stadt hinaus.
Dorthin, wo Hügel und Täler in unanständiger Formfülle um den Gast
streiten. Der Exzess der sichtbaren Lust, die stärksten Empfindungen aus
einer Naturschönheit im Rahmen des Möglichen, dies findet der Reisende am
klodeckelrunden, unsittlich blauen Kineret.
Erst aus einem veränderten Blickwinkel bemerkt man den
Irrtum. Der See ist nicht kreisrund. Dreht der Bayernkönig Ludwig II. sein
Gesicht zur Seite, so dass die Konturen der Nase im Gegenlicht
verschwinden, so erhält er diese Form, die das Kinn in Degania, die linke
Wange in En-Gev, das rechte Ohr in Tiberias und die Haartolle in Kfar
Nachum platzieren. Einen hübschen
Aussichtspunkt auf den blauen Kineret findet man im Moschaw Amirim, sieben
Kilometer südlich von Safed. Im Golan, bei Mizpe Schalom, kann man einen
weiteren unvergesslichen Ausblick über das blaue Wasser genießen . Erst
wenn man sich dem Kineret furchtlos nähert erschließen sich dem Besucher
die ungeahnten Mysterien der voll integrierten Vermüllung des Heiligen
Landes. Malerisch dahinfliegende
Kunststofftüten, hohl auf den Steinen klappernde Getränkeplastikflaschen,
von Fliegenschwärmen begrüßte Essensreste und immer wieder diese punktuell
verteilten, dunkel verfärbten Lagerfeuerrückstände erzählen die Geschichte
der Besiedelung, oder vielmehr der Liebe, die das Volk zu seinem Land
verspürt. Denn, wo Müll ist, da waren
Menschen, und wo Menschen waren, dort muss es wohl schön gewesen sein,
sonst wären sie doch woanders hingefahren. Wird aus völlig unerklärlichen
Beweggründen tatsächlich einmal von fleißiger Hand der Müll entfernt, so
dauert es nicht lange, spätestens nach dem nächsten Sabbat, und die
Symbole des attraktiven Ortes lassen sich wieder vorfinden.
Zigarrettenkippennester hier und benutzte Kondome dort, leere Schachteln
die jenes früher beherbergten, bunt in der Sonne glitzernde Glassplitter,
nicht völlig zertrümmerte Getränkeflaschen, dem Fotografen auf der Suche
nach dem Stilleben ist alsbald Erfolg gesichert.
Ein kleiner Tipp am Rande: Auch noch so heiße Tage sollten
nicht dazu verleiten, barfuss zu gehen. Badeschuhe können mit ins Wasser
genommen werden, alsbald mit einem Stück Schnur an einem leeren
Getränkekanister befestigt, schwimmen sie gut wieder auffindbar und können
nach Beendigung des Bades unverzüglich angelegt werden.
Macht man sich die Mühe, den Grund des Sees aufzusuchen, so
eröffnen sich Schatztruhen unbekannter Vielfalt. Ganze Mopeds, Fahrräder,
Bettgestelle, Kücheneinrichtungen, dazwischen schlüpfen die Fische des
ehrwürdigen Petrus hindurch. Und es ist gut zu wissen, dieses Wasser
versorgt die Menschen Israels, leicht aufbereitet, aber gesund und
eisenhaltig. Das nächste Mal
begleiten Sie mich auf einen Ausflug in die "Kleine Schweiz", dieses
Naturreservoir hinter Haifa, im üppig bewachsenen Karmel-Gebiet.
hagalil.com 16/08/04 |